Das Sonderheft 6/2024 unserer Zeitschrift handelt von der botanischen Praxis der Herrnhuter Brüdergemeine (Ehrlacher etl al. 2024). Ein handschriftliches Exkursionstagebuch von 1766 beschreibt damalige Exkursionsrouten und enthält gefundene Pflanzenarten, welche z. T. herbarisiert wurden und bis heute im Herbarium der Technischen Universität Dresden erhalten sind. Diese Ortsangaben finden sich in einem der frühesten Florenwerke Sachsen-Anhalts nach der neuen binären Nomenklatur von Linné, der Flora Barbiensis von Friedrich Adam Scholler (1775) und Nachfolgeflora (1787), wieder. Die Auswertung des Exkursionstagebuches und der Herbarbelege ermöglichen einzigartige Einblicke in die botanischen Aktivitäten der Herrnhuter Brüdergemeine und die damalige sachsen-anhaltische Lokalflora an der Elbe bei Barby. Durchgeführt wurde diese von Studenten und Dozenten der hier im Schloss von Barby untergebrachten Akademie der Herrnhuter Brüdergemeine, die darüber ein botanisches Exkursionstagebuch geführt haben.
Unsere Exkursion am 24. Mai 2025 folgte in Abschnitten der am 16. Mai 1766 durchgeführten Wanderung zwischen Barby und Dornburg. Diese Exkursion hatte das Ziel, den Interessierten sowohl die aktuelle Flora des Gebietes als auch die Tätigkeiten der Herrnhuter Brüdergemeine im 18. Jahrhunderts sowie das Aussehen der damaligen Landschaft nahe zu bringen.
Die Exkursion mit mehr als 30 Teilnehmenden begann am Schloss Barby. Nach einer Einführung durch die Organisatoren und den Bürgermeister von Barby, Jörn Weinert, begann die Wanderung. Nach ca. einem Kilometer Fußweg auf dem Elbedeich wurde das beeindruckende Industriedenkmal, die Barbyer Elbebrücke von 1875, erreicht und auf ihr die weite Elbeaue überquert. Am östlichen Ende dieser Brücke überquerten wir die Nuthe, welche in die Elbe mündet. Weidengehölze säumten ihr naturnahes Ufer.
Danach wurde ein Hartholzauenwald auf dem Elbe-Radweg durchschritten und seine Bedeutung in der Überflutungsaue sowie die Flora erläutert. An heimischen Gehölzen kommen darin Stiel-Eiche (Quercus robur), Gemeine Esche (Fraxinus excelsior), Hainbuche (Carpinus betulus), Winter-Linde (Tilia cordata), Schwarzer Holunder (Sambucus nigra), Blutroter Hartriegel (Cornus sanguineus), Gewöhnlicher Schneeball (Viburnum opulus), Feld- und Flatter-Ulme (Ulmus minor, U. laevis) vor. An neophytischen Gehölzen, welche zum Teil invasiv sind, wurden Rot-Esche (Fraxinus pennsylvanica) und Eschen-Ahorn (Acer negundo) vorgestellt. Die Krautschicht dieses Waldes besteht neben anderen Arten aus Scharbockskraut (Ficaria verna), Zerstreutblättigem Vergissmeinnicht (Myosotis sparsiflora), Echter Nelkenwurz (Geum urbanum), Wald-Ziest (Stachys sylvatica), Riesen-Schwingel (Festuca gigantea), Hain-Rispengras (Poa nemoralis), Gundermann (Glechoma hederacea), Efeublättrigem Ehrenpreis (Veronica hederifolia agg.), Wald- und Winkel-Segge (Carex sylvatica, C. remota). An dieser Stelle wurden die Folgen des Klimawandels diskutiert, wozu die ungewöhnliche Vielzahl an abgestorbenen und absterbenden Eichen und Eschen gehören könnten. Hari et al. (2020) stellten fest, dass etwa 30 % der Dürre im Jahr 2018-2019 auf den menschengemachten Klimawandel zurückzuführen ist.
Bald öffnete sich die Landschaft und wir standen auf einer buntblütigen Frischwiese, deren Vielzahl an Kräuter- und Gräserarten die Teilnehmer überraschte. Es wurden unter anderen Wiesen-Glockenblume (Campanula patula), -Platterbse (Lathyrus pratensis), -Labkraut (Galium album), -Silau (Silaum silaus), -Margerite (Leucanthemum vulgare agg.), Vogel- und Behaarte Wicke (Vicia cracca, V. hirsuta), Scharfer, Knolliger und Goldschopf-Hahnenfuß (Ranunculus acris, R. bulbosus, R. auricomus agg.), Weißgelb-Labkraut (Galium × pomeranicum), Kuckucks-Lichtnelke (Lychnis flos-cuculi) sowie Gräser, wie Gemeines Rispengras (Poa pratensis), Glatthafer (Arrhenatherum elatius), Gemeines Ruchgras (Anthoxanthum odoratum), Wolliges Honiggras (Holcus lanatus), Frühe Segge (Carex praecox) und Wiesen-Fuchsschwanz (Alopecurus pratensis) vorgestellt. Möglicherweise wurde auch deren Unterart Dunkler Wiesen-Fuchsschwanz (Alopecurus pratensis subsp. pseudonigricans) gefunden, was jedoch noch zu prüfen ist. Neben solchen Frischwiesen sind für die Elbaue auch wechselfeuchte Brenndolden-Auenwiesen chrakteristisch. Von diesen wurden drei Vertreter angetroffen: die namengebende Brenndolde (Selinum dubium), das Nordische Labkraut (Galium boreale) und das nicht in Blüte befindliche und deshalb unscheinbare Gräben-Veilchen (Viola stagnina).
Während der Mittagspause mitten im weichen duftenden Wiesengras wurde über das Landschaftsbild im 18. Jahrhundert philosophiert. Damals gab es noch keine strikte Trennung der Landschaft in Wald, Wiesen und Weiden. Neben im Winter beweideten Äckern gab es in der Auenlandschaft großflächig Waldweiden mit alten Huteeichen und vielen Weidetieren, Rindern, Ziegen, Schafen und Schweinen (zur Eichelmast). Die Vielfalt an Fruchtfolgen mit verstärkten Leguminosen-Anbau (Schmetterlingsbütengewäschse, v.a. Klee und Luzerne) und die Aufgabe der unwirtschaftlichen Dreifelderwirtschaft setzten sich erst in dieser Zeit durch. Der Leguminosen-Anbau ist sogar im Exkursionstagebuch von 1766 erwähnt.
Auf der Wiese wurde weiterhin die „Naturkundliche Sammelanleitung von Herbarbelegen“ der Herrnhuter Brüdergemeine von 1766 vorgestellt. Diese wurde später in „Kurze Anweisung Naturalien zu samlen“ (Bossart 1774) veröffentlicht und bis 1831 weitweit vertrieben. Die Sammel-Hinweise sind teilweise bis heute gültig. Nach den interessanten Ausführungen setzten einige Teilnehmer die Exkursion fort, während andere den Rückweg antraten.
Nach einer kurzen Strecke durch ein abwechslungsreichen Gehölz-Offenland-Mosaik öffnete sich die Landschaft in die weite Dornburger Grünlandaue, an deren Ende nur die Turmspitze von Dornburg und das Dach des riesigen Schlosses aus einer Gehölzgruppe herauslukten. Das Schloss wurde zwischen 1750 und 1760 geplant und für die Mutter von Katharina der II., Kaiserin von Russland, gebaut. Dornburg war das Ziel der damaligen botanischen Wanderung, was heute jedoch nicht erreicht werden konnte.
Da das Ziel der Wanderung nicht auf direktem Wege erreichbar war, mussten querfeldein gemähte und ungemähte Wiesen, ein Maisacker und ein teilweise wassergefüllter Graben überwunden werden. Die nunmehr auf ca. 10 Personen reduzierte Exkursionsgruppe erreichte am Nachmittag die auch im Exkursionsbericht von 1766 aufgeführten „Sandberge“, ein ca. 10 m am Ostrand der Aue aufragender Dünenzug. Auf diesem Lübser Heuberg beeindruckte die Teilnehmer ein extrem nährstoffarmer, niedrigwüchsiger, fast ausschießlich von Flechten, Silbergras (Corynephorus canescens) und Sand-Segge (Carex arenaria) dominierter Sandhügel als ein Relikt der Landnutzung vor 250 Jahren. Die dominierende Flechtenart ist Milde Rentierflechte (Cladonia mitis). Weiterhin kommen Zarte Strauchflechte (Cladonia gracilis), Blättrige und Igel-Cladonie (Cladonia foliacea, C. uncialis), Gemeine Säulenflechte (C. coniocraea) und Trompetenflechte (C. fimbriata) vor. Weitere Magerkeitszeiger waren Astlose Graslilie (Anthericum liliago), Bauernsenf (Teesdalia nudicaulis), Frühlings-Spark (Spergula morisonii), Dach-Trespe (Bromus tectorum) u.a. Damals war die Landschaft infolge der Jahrhunderte-währenden Aushagerung durch Ernte, Viehweide und Winterstreunutzung – weitgehend ohne Nährstoffnachlieferung – großflächig extrem nährstoffarm.
Dank der Hochschule Anhalt, gefördert durch die Europäische Union und das Land Sachsen-Anhalt, wurde diese vor 2010 verbuschte Fläche durch Entbuschungsmaßnahmen und Abplaggen der humusen oberen Bodenschicht in den derzeitigen offenen und humusarmen Zustand zurückversetzt. Schwerpunkt dieser Maßnahmen war die Erhaltung der seltenen Sand-Silberscharte (Jurinea cyanoides) als europaweit streng geschützte Art. Auch wenn Sand-Silberscharte noch nicht blühte, waren ihre Blattrosetten und die letztjährigen Blütenstände ein reichlicher Zahl vorhanden. Am späten Nachmittag wurde der Rückweg zurück nach Barby angetreten.
Auf der diesjährigen Exkursion gefundene Arten, welche bereits auf der Wanderung von 1766 genannt wurden, sind: Dreinervige Nabelmiere (Moehringia trinervia), Knick-Fuschsschwanz Alopecurus geniculatus), Schlank-Segge (Carex acuta), Kleiner und Weicher Storchschnabel (Geranium pusillum, G. molle), Gemeines Ruchgras (Anthoxanthum odoratum), Gamander-Ehrenpreis (Veronica chamaedrys), Wiesen-Schaumkraut (Cardamine pratensis), Kuckucks-Lichtnelke (Lychnis flos-cuculi), Astlose Graslilie (Anthericum liliago), Kleines Habichtskraut (Hieracium pilosella) und Gemeine Sumpfsimse (Eleocharis palustris). Brenndolde (Selinum dubium) und Gräben-Veilchen (Viola stagnina) waren damals noch nicht beschrieben. Auf letzteres könnte die Angabe von Viola montana hinweisen. Die Sand-Silberscharte (Jurinea cyanoides) wird auf einer anderen Exkursion erwähnt. 1766 genannte bemerkenswerte Arten, wie Wiesen-Kuhschelle (Pulsatilla pratensis), Aufrechter Ehrenpreis (Veronica prostrata) oder Fieberklee (Menyanthes trifoliata) kommen heute in der Region nicht mehr vor.
Das Experiment, floristische und historische Themen auf einer Exkursion zu verbinden, war nach Mitteilung der Teilnehmenden gelungen und kann demnach gerne wiederholt werden. Das Exkursionstagebuch enthält weitere nachvollziehbare Streckenführungen zur Nachahmung bereit.
Die Teilnehmenden bedanken sich bei den Organisatoren und Organisatorinnen der Wanderung Richard Ehrlacher, Uta Koschmieder, Thomas Ruhland, Frank Müller und Guido Warthemann für die interessante Führung.
Guido Warthemann
Quellen:
Ehrlacher, R., Müller, F., Wagner, S. T., Frenzke, L., Ruhland, T. (2024): Barby und die botanische Praxis der Herrnhuter Brüdergemeine im 18. Jahrhundert. Mitteilungen zur floristischen Kartierung in Sachsen-Anhalt Sonderheft 6, 209 S.
Hari, V. et al. (2020): Increased future occurrences of the exceptional 2018–2019 Central European drought under global warming. Scientific reports 10: 12207.
Hochschule Anhalt (2008-2024): Stärkung von Restvorkommen der Sand-Silberscharte (Jurinea cyanoides) im Nordharzvorland und an der Saale sowie Betreuung weiterer Vorkommen in Sachsen-Anhalt.